CSD in Göteborg – der schwedische Weg

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2024 war ich mir den CSD in Göteborg angucken und dachte sofort: Die sind in ihrer Entwicklung dort gerade weiter gelaufen, wo wir in Sachsen 2017 irgendwie falsch abgebogen sind. Dass es also möglich ist, einen vollständig anderen CSD auch heute zu haben, zeigt dieser Beitrag.

Der Westpride

So nennt sich der CSD in Göteborg und zieht Menschen aus ganz West-Schweden. Die Provinz Västa Gotland hat 1.616.000 Einwohner und wäre demnach vergleichbar mit Sachsen. Sachsen hat 4.042.422 Einwohner. Zum Westpride kommen 125.000 Teilnehmer. Zum sächsischen CSD etwa 10.000 Teilnehmer. Hier sieht man bereits einen gewaltigen Unterschied, wie sehr viel tiefer der Westpride in der schwedischen Bevölkerung verankert ist, als unser sächsischer CSD. Der Westpride ist nämlich ähnlich einem Stadtumzug, dessen Strecke tausende Schaulustige säumen.

Der nordische Weg

(West)Deutschland hatte bis 1994 noch seinen Paragraph 175, der homosexuelle Handlungen verbot, da war in Norwegen schon 1972 der Drops gelutscht. Es gab keine Verfolgung mehr. Immerhin, die DDR hatte ihre Strafverfolgung schon 1988 eingestellt. Aber alles in allem hinkten wir 16 bzw 22 Jahre hinterher.

Dänemark führte 1989 als erstes Land weltweit die eingetragene Partnerschaft ein. Deutschland folgte erst 2001. Wieder über 12 Jahre später.

Schweden legalisierte bereits 1944 homosexuelle Beziehungen. Da pappte man hierzulande noch Menschen rosa Dreiecke auf die Jacke und eine Generation wurde geboren, wo gestörtes (vornehmlich männliches) Bewusstsein gern „alle Schwulen in die Gaskammer stecken“ wollten. Dieser Spruch begegnete mir bis Anfang der 2.000er in der eigenen Familie und wird wohl bis heute die innere Grundhaltung einiger sein – 81 Jahre, nachdem Schweden schon entspannt war.

Es lohnt also hin und wieder in andere Länder zu gucken, um die Bretter vor dem eigenen Kopf zu erkennen. In Sachen LSBTI guckt es sich sehr gut nach Skandinavien. Hätten wir mehr über die liberale Haltung von Dänemark, Norwegen und Schweden schon in den 70ern und 80ern gewusst, wären wohl massenhaft deutsche LSBTs einfach ausgewandert.

Der Westpride in Göteborg fußt also auf einem ganz anderen gesellschaftlichen Fundament. Wieso sich nicht an den Besten orientieren?

Stadtumzug

Wir kennen aus den 90ern noch den Görlitzer Stadtumzug, wo sich in einzelnen Schaubildern Gruppen oder historische Szenen präsentierten. Die Berliner Straße runter bis in die Altstadt. Der Rand der Straße war von tausenden Schaulustigen gesäumt. Es war immer eine wunderbare Gelegenheit, alles mal kennenzulernen, was mit Stolz präsentiert wurde.

Wer das verpasst hat, möge an Karnevalsumzüge denken, wo sich die einzelnen Ortsgruppen präsentieren, von Funkenmariechen bis Elfer-Rat sowie ältere/frühere Mariechen und ein buntes Fußvolk. Immer ist genaustens zu erkennen, was jetzt was ist. Schaulustige säumen erneut den Straßenrand.

Das ist das Prinzip beim Westpride!
Gruppen präsentieren sich. Touristen und Einheimische säumen die Wegstrecke.

Bei den CSD´s in Dresden, Cottbus, Görlitz, Bautzen, Zittau, Leipzig und Berlin säumen keine Schaulustigen die Wegstrecke und es präsentieren sich auch nur sehr wenig und schwer erkennbar die Gruppen. Es gibt Trucks, ja. Da sind auch Banner dran, ja. Aber alles andere ist oftmals eine bunte Soße.

Bis Mitte der 2.000er gingen zumindest die Görlitzer mit Banner auf den sächsischen CSD und in einheitlichen T-Shirts. Wir waren also als Ortsgruppe erkennbar.

Die Trucks

Einen Truck auf die Beine zu stellen mit Fahrer, mit Bannern, mit Luftballons, mit Ladefläche zum mitfahren, ist schon eine kleine Herausforderung. Ich habe da in meinen 15 aktiven Jahren immer kapituliert.

Anders und einfacher ist es, wenn genau die teilnehmen, die Fahrzeuge haben. Hier kommen die Fotos vom Westpride 2024. Ich breche das direkt runter auf unsere Region. Sagen wir die Oberlausitz, wenn es ein CSD in Görlitzer oder Bautzen werden soll. (Oberlausitz = Landkreis Görlitz + Landkreis Bautzen)

Die Trucks standen also in einer Seitenstraße, abfahrbereit geschmückt. Das ist bei den deutschen CSDs auch so. Hier der Anfang der Fahrzeugkolonne.

… und da das Ende.

Schauen wir mal genauer, denn ab da versteht man den Westpride!

Die Stadt Göteborg fährt mit
Mit einem Betriebswagen! In unserem Fall wäre das also der OB im Dienstwagen, die Politessen vom Ordnungsamt oder – noch schöner – der Betriebshof! Eben ein städtisches Dienstfahrzeug. Und das nicht mit irgendwem, sondern den LSBTs aus der Stadtverwaltung.

Wenn ich da über die Görlitzer Stadtverwaltung und das Landratsamt nachdenke, kommt eine beachtliche LSBT Personengruppe zusammen, die sich direkt als Laufgruppe anschließen könnte. Und wenn sich alle Bürgermeisterstuben und Kreisämtermitarbeiter in den Landkreisen GR und BZ beteiligen, würde es mit den LSBTs aus der Verwaltung richtig voll und fetzig.

Die Polizei
Und da meine ich nicht als Schutztruppe mit ungefähr 60 Mannschaftswagen voll Sixpacks in Vollschutz, weil sich in unserem Fall unterschiedliche politische Lager, rangekarrt aus der halben Nation, gern gegenseitig die Fresse einhauen möchten. NEIN! Die Polizei als Teilnehmer mit ihren LSBTs.

Oh, das wäre auch hier voll! Und schön! Erst recht, wenn wir noch Zoll und Bundesgrenzschutz dazu nehmen und die hübschen Schüler von der Polizeihochschule in Rothenburg. Die sexy Beamtin in Göteborg verteilt im Moment des Fotos übrigens gerade Polizei-Give-Aways.
Vielleicht heißt das ACAB-Gekritzel ja doch „All Cops are beautiful“ ❤️

Die Feuerwehr
Das fand ich ganz besonders schön, denn nicht nur, dass sie eines ihrer ältesten Fahrzeuge geschickt hatten, sondern auch ihre dienstältestens Schwulen mitfahren konnten.

Bei uns gibt es eine Berufsfeuerwehr und in jedem Ortsteil und Dorf eine Freiwillige Feuerwehr. Wenn sich dazu noch das Feuerwehrgerätewerk gesellt, sollte sich doch mindestens die Besatzung für ein Fahrzeug finden lassen. Vor allem, wenn man alle Ehemaligen mal anfragt.

Rettungsdienst
Vor Polizei und Feuerwehr fuhr noch ein Rettungswagen (ohne Foto). Auch nicht zur Sicherheit der Teilnehmer, sondern als teilnehmendes Fahrzeug. Da bin ich mir ganz sicher, dass wir auch unter den Rettungsleuten genug für eine Fahrzeugbesatzung zusammen bekämen. Und wenn wir das THW noch dazu nehmen und die DLRG (quasi alle, die mit „retten“ zu tun haben), wird das gut.

So langsam wird klar, wie West Schweden an die Sache ran geht. Es beteiligt sich nämlich die gesamte Stadtgesellschaft. Das macht die Sache seriös und zeigt die ganze Zeit: Unsere Mitarbeiter sind toll, völlig wurscht, wer wen liebt.

Der Bus in Dresden
An dieser Stelle möchte ich die Dresdner Verkehrsbetriebe loben. Die haben einen CSD Bus. Auf dem steht: „Wir bewegen alle“ und „Wir bringen Euch ans andere Ufer.“ CSD kann nämlich auch eine schöne Marketing Idee sein, why not! Wenn das Unternehmen seine liberale Einstellung gefunden hat…

Wenn die Görlitzer Verkehrsbetriebe sich zusammen täten mit der Parkeisenbahn und allen ehemaligen Parkeisenbahnern. Wenn dazu noch der Zvon und Trillex seine LSBTs schickt und das DB Büro in Görlitz mitmacht, dann verspreche ich Euch, ist ein solcher Bus voll!

Die Müllabfuhr
Das fand ich einfach nur witzig. Und ja, die Teilnahme sollte doch für absolut jeden offen sein, der mit seinem Unternehmen und seinen LSBTs mitmachen will.

Eine Szene-Kneipe
Die Damen vom „Bee“ kamen im Caprio.
Wenn aus Görlitz, dem Umland, bis Bautzen alle schwulen Kneiper mitmachen, reicht kein Caprio! Da braucht es dann wieder einen Gastro-Truck.

Ein Baskettballverein
Das fand ich auch cool, weil ich etwas vergleichbares hierzulande noch nie gesehen hatte. Ich komm auf Sport nochmal bei den Laufgruppen zu sprechen.

Schwedens größte Baufirma
Brixly hat 454 Mitarbeiter und hatte 2023 einen Jahresumsatz vom 2,1 Milliarden SEK – und schickt ein Betriebsauto und seine LSBT-Mitarbeiter zum Westpride. So könnte das jeder große Arbeitgeber machen. Man muss CSD nur anders denken. Aus der Mitte der Gesellschaft heraus nämlich.

Mehr aus der Fahrzeugkolonne hab ich gar nicht fotografiert. Es reicht aber, damit das Prinzip klar wird. Und nein, es gab KEINEN EINZIGEN politischen Truck. Sondern es gab eine Stadtgesellschaft bzw Unternehmen und Sportvereine aus der Region, die angereist waren mit geschmückten, beklebten Fahrzeugen. Im Grunde ein normaler Stadtumzug, nur eben mit dem LSBT-Ausschnitt der Bevölkerung.

Die Laufgruppen

Auch das ist auf einem anderen Stand, als in Deutschland. Sowohl von der Organisation, als auch von den Teilnehmern selber. Zunächst ein Blick auf die Orga.

Ich war ein bisschen zu zeitig da, weil ich das bei meiner 400 km Durchreise nicht besser getaktet bekommen habe. Aber dadurch konnte ich alles genau ergründen. Treffpunkt war auf einem großen städtischen Platz. Und der war mit Flatterband eingeteilt in mehrere Bahnen. A, B bis G oder so.

Alle Menschen, die teilnehmen wollten als Laufgruppe, fanden sich zwischen diesen Flatterbändern ein und so wurde es binnen einer Stunde proppe voll.

Was erstmal noch wie ein buntes Durcheinander wirkt, hatte sehr wohl Struktur. Die Menschen holten nämlich ihre Banner raus, zogen die beschrifteten T-Shirts an, nahmen die Flyer raus und entpuppten sich als gut erkennbare „Wanderlesben“ oder „schwul-lesbische Lehrer“. Sehr schön war auch diese Truppe, die wohl jedes Jahr diesen Aufwand für ihre Regenbogenkostüme betreibt.

Wenn ich das auf hiesige Verhältnisse übersetzen wöllte, würde ich sagen:
Schwul-lesbische Lehrer und Lehrerinnen wird in unserer Region definitiv eine große Laufgruppe. Vielleicht gibt das „Little Paradies“ seinen US-Schulbus her für diesen guten Zweck 😉
Pflegekräfte, Krankenschwestern, Ärzte, Physiotherapeuten ist die nächste sehr große Laufgruppe und sie passen prima hinter den „Truck“ der Rettungsdienste.
Sämtliche Gastronomen, Kellner, Hoteliers und ihre Angestellten sind ebenfalls eine große Laufgruppe und sie passen perfekt hinter ein Gastro-Caprio.
Wenn alle Pädagogen und Erzieher sich zusammen finden, ist die nächste Laufgruppe da.
Gleiches gilt für alle im Handel. Wenn sie zusammen gehen mit allen aus der Dienstleistung, werden es auch richtig viele.

Es müssen auch nicht immer Berufsgruppen sein:
Wenn alle Schwulen und Lesben aus unserer Region, die Kinder aufziehen, sich als Rainbow-Family-Laufgruppe zusammen finden, ist schon die nächste Gruppe da.
Wichtig wären auch coole Eltern der Herkunftsfamilien, alo die Angehörigen. Stolze Mütter, liebe Omas, sowas. So lange es in Sachsen Ansprechpartner dafür gab, stand niemals das Telefon der Elternberatung still und vielen Eltern und Geschwistern die hadderten, konnten damals Gespräche weiterhelfen.
Es gab bei den Trucks das Baskettball-Fahrzeug. Wenn aus unserer Region alle Sportler und Sportlerinnen, die in Vereinen organisiert sind, als eine Laufgruppe zusammen kämen, hätten wir eine weitere Personenstarke Laufgruppe. Und vor allem eine so schöne, wie die „schwedischen Wanderlesben“.
Wenn ich im Geiste die Lesben mit Motorrad in unserer Region durchzähle, reicht es locker für eine schöne Spitze des CSD-Umzuges.
Und wenn ich mir überlege, wie viele Schwule und Lesben ich in religösen Zusammenhängen aufgegabelt habe, bin ich mir sicher, eine kleine Delegation mit Glauben kommt auch zusammen.

Ich hab noch wen vergessen: Travestie und Trans*!
Ich habe tatsächlich gar nicht mehr Herren im Fummel gesehen, wie diese wenigen.
In Görlitz und dem Umland gibt es relativ viele Trans*-Personen. Das wäre mindestens auch eine Laufgruppe.


Zum Ablauf:
Die Laufgruppen werden systematisch Reihe für Reihe aus den Flatterbändern gelassen. Damit ergibt sich automatisch eine Aufstellung. Die Trucks werden passend dazwischen verteilt. Das regelt jemand an der Kreuzung, wo Laufgruppen und Trucks zusammen treffen. (Dazu unten mehr.)

Keine Gruppen

Unser Problem ist und bleibt: Wir haben gar keine Gruppen! Wir hatten Gruppen bis 2015 – und dann hat sich alles aufgelöst (siehe Beitrag dazu). Deswegen haben wir bei jedem CSD ein buntes Durcheinander. Gerade mal die Biker-Lesben an der Spitze beim Dresdner CSD sind noch als solche zu erkennen. Wir sind also erneut mindestens 10 Jahre hinter den skandinavischen Ländern. Und wenn wir irgendwie Struktur in unser Chaos bringen wollen, dann wäre die Gründung von Gruppen der nächste Schritt. Und dann eine Teilnahme mit erkennbaren Banner, mit T-Shirts, mit Flyern – quasi wie „früher“.

Gruppen geben Kraft. Der Zusammenhalt stärkt jedem Einzelnen den Rücken. Probleme verteilen sich auf mehreren Schultern. Viele Köpfe haben mehr kreative Ideen als ein Einzelner. Gruppen bedeuten Geselligkeit, schöne Vorhaben, ein nährendes Miteinander. Ich weiß nicht, wieso wir die Vereinzelung beführworten in Deutschland.

CSD ohne Perversitäten

Überhaupt war nichts in Göteborg von den „Auswüchsen“ zu sehen, die hier zu Lande jedesmal verstören. Also Fetische, Nackte die öffentlich Sex haben, Perverse. Nix! Eigentlich nur schöne, normale Menschen, die lesbisch oder schwul waren. Ein paar Bärentypen trugen ihre Flagge, waren aber angezogen und verhielten sich normal. Prima!

Sollte es gar nicht ohne gehen, dann bitte alle Puppy-Typen und Kinky-Lovers als erkennbare Fetisch-Laufgruppe oder auf einen Truck. Dann ist es nur ein Ausschnitt einer bunten Szene und nicht der Eindruck, Schwule und Lesben seien generell alle sexuell fragwürdig unterwegs. Danke!
Generell bietet sich der Internationaler Fetisch-Tag am 17. Januar jeden Jahres an, seine eigene Parade zu starten. Denn die meisten, die da auf dem CSD ihre Perversitäten zur Schau stellen, sind inzwischen gar nicht mehr schwul oder bi oder trans und sowieso kaum lesbisch.

Und es dudelte ein fröhliches „Banne Maj“ von einem Truck, was ich noch tagelang im Kopf hatte:

Ansonsten gab es ABBA, Roxette, Madonna, Army of Lovers auf die Ohren. Viel bekannte Musik.
Dazu gab es diese Teilnehmerinnen:

Und damit ist doch eigentlich klar, das der CSD in Göteborg kein Umzug von ein Haufen „vereinzelter Gestörter“ ist, sondern ein besonderer Tag im Stadtkalender, an dem sich alle Zeit nehmen und ihre LSBTs, diese Kultur, diese Lebensfreude feiern, sie sichtbar machen – und unterstützen.

Wir haben in Görlitz keinen Spielmannzug mehr, aber noch Dörte – die Brassband mit einigen ehemaligen Spielmannzug-Mitgliedern. Wir haben die 7Zylinder als musizierenden Walking-Act. Und andere Musiker der Stadt oder der Karnevalsverein hätten vielleicht Lust, „Part of the Culture“ zu sein.
Diese Damen hier haben unter anderem Lady Gaga im Spielmannszug-Sound gespielt. Sehr geil!

Die Zuschauer

Das ist jetzt die Gretchenfrage: Warum macht man eigentlich einen CSD? Was ist denn das Ziel? Als diese Frage unser ehemaliger (schwuler) Jugendamtsleiter bei einem Görlitzer CSD Vorbereitungstreffen stellte, wurde er ausgelacht und sollte nicht nerven. Zum Schluss erklärte man ihn zum Nazi. Mich übrigens auch 🙂 Das kann man machen, das ist schön einfach. Die entscheidene Frage aber blieb unbeantwortet.

Also was ist die Absicht?
Zuschauer schockieren mit ans Tageslicht gezerrten Perversitäten? Sie nerven mit dem Regenbogen und dem Krach? Politische Parolen brüllen? Ihnen zeigen wie menschlich kaputt viele in diesem bunten Haufen sind? Sich mit Alkohol und Drogen so abschießen, dass es nur noch peinlich ist? Stumme Schreie nach Liebe und Aufmerksamkeit? EInfach nur primitiv jemand für den nächsten Triebabbau finden?
Genau das sind die Gründe, warum die normalen LSBTs nicht teilnehmen.

Zeigen, wir sind viele? Ja.
Zeigen, wir sind in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens, wie das in Göteborg passiert? Ja!
Zeigen, wir sind ganz normal? Unbedingt, aber dazu müssten wir uns normal verhalten! Und auch normal aussehen. Ich habe in Schweden fast ausschließlich schöne Menschen gesehen: Aufrecht, gerade, weder adipös noch unförmig, eher sportlich. Sie waren gewaschen, trugen saubere Kleidung und waren gut drauf. Vielleicht, weil sie akzeptiert werden. Vielleicht, weil sie sich selber lieben. Vielleicht, weil es gar kein Problem gibt, sondern alles okay ist. Das macht ja was mit der Seele.
Wir sind mehr wie 10 Jahre weit entfernt vom skandinavischen Weg.

Der Göteborger CSD hat jedenfalls Zuschauer! 100.000de. Und alle gucken gerne, wenn die Szene sich in ihrer (normalen) Vielfalt präsentiert.

Das wenige Anstrengende

Es gab eine Laufgruppe, das war eine (nur eine!) politische Gruppe, die lautstark mit Kampfgebrüll etwas skadierte, was ich freilich nicht verstand. Ich verstand aber sehr wohl, dass es das ist, woraus bei uns 90 % der politisch organisierten CSDs besteht. Hier war es eine kleine Gruppe mit erkennbarem Anfang und Ende – und damit aushaltbar.

Das Görlitzer CSD Team hat sich 2025 schon mal abgespalten von den radikal politischen Vertreterinnen. Ein Anfang! Und beim Zittauer CSD 2025 hat man das politische Häufchen seine Parolen plärren lassen, ist aber nicht in diesen Chor mit eingestiegen. Es wird langsam!

Und es gab in Göteborg am Straßenrand einen religiösen Fundamentalisten der mit Rauschebart und Kreuz gegen den CSD wetterte. Er wurde von Teilnehmern und Zuschauern ignoriert. Niemand hatte Angst.

Und ohne Angst braucht auch niemand mehr ein Awareness-Team, was schon mehr Schaden anrichtet hat, als das es nutzte. Menschen ohne Angst, die ihre Angelegenheiten selber regeln, müssen doch das Ziel sein. Nicht „Mutti“, die das macht. Wir bleiben bisher im Kindergarten stecken…

Das viele Gute

Es brauchte keine Ordner, die mit Stricken die Menschen vor den Fahrzeugen schützen, weil man offenbar Skandinaviern zutraut, zwischen Fahrzeugen laufen zu können. Ich hatte aber auch nicht das Gefühl, die Teilnehmer wären razeduten zugesoffen oder bekifft, wie das hier immer wieder auffällt.

Es gab kein Polizeiaufgebot wie bei uns, sondern nur Polizisten, die die Straßenkreuzungen für die Dauer des CSD´s abriegelten – und natürlich als Teilnehmer.

Und es gab eine behinderte junge Frau, die vor den Trucks stand als Ordnerin. Alle Fahrzeuge hörten auf sie. Es ging nicht los, so lange sie da stand. Und die Ordnerin wiederum hörte auf jemand, der ihr sagte „so jetzt“ und dann gab sie den CSD frei. Das ist schwedische Inklussion. Da wird nicht drüber diskutiert. Teilhabe wird einfach gelebt und jeder findet seinen Platz nach seinen Fähigkeiten. (Es gibt mehr Dinge, wie den Umgang mit LSBT Lebensweisen, die man sich bei den nordischen Ländern abgucken könnte).

Die Straßen waren geschmückt – aber nicht das ganze Jahr. Sondern für die Dauer der Festlichkeiten.

Im Anschluss an die Parade gab es ein großes Straßenfest, zu dem ich es zeitlich nicht geschafft habe. Und in der ganzen Woche davor gab es Kulturveranstaltungen! „Die Veranstaltung findet an prominenten Kulturorten der Stadt statt, darunter das Göteborgs Stadsteater, das Röhsska Museum und das Museum für Weltkulturen. Das Göteborg Film Festival zeigt im Rahmen des Festivals queere Filme.“ Auch das ist ein wichtiger Aspekt eines CSDs: Das Rahmenprogramm. Wenn man schon 1x im Jahr alle Aufmerksamkeit auf das Thema zieht, dann aber auch mit Mehrwert.

Und auch übers Jahr passiert was: „West Pride setzt sich das ganze Jahr über für die Bekämpfung von Diskriminierung von LGBTQ+-Personen ein und bietet dazu Bildungs- und Sensibilisierungsprogramme in Schulen und Betrieben in der Region Västra Götaland an.“ – weiß der Wikipedia-Eintrag.

Wenn mich jemand im Juni sucht, dann bin ich vermutlich in Göteborg auf dem CSD, der in einer noch fernen sächsischen Zukunft liegt…
https://www.westpride.se/

(Der Sommerhit 2024 in Schweden)


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