
Der CSD erfordert seit ca. 2022 ein massives Polizeiaufgebot. Zur eigentlichen Demo kommen eine Menge Gegendemos. Mit CSD hat das am Ende alles gar nichts mehr zu tun, sondern es ist eine politische Konfrontation unterschiedlicher Lager. Ca. 2015 ist die LSBT-Szene offenbar „falsch“ abgebogen. Hier ein paar Gedanken zu den Ursachen. Ursachen übrigens, die wir gesamtgesellschaftlich beobachten können…
34 Jahre out and proud
Ich habe mein ganzes Leben (seit den Teenietagen 1991) unter dem Regenbogen verbracht. Und war dazu von 1997 – 2011 auch noch sehr engagiert in der Szene. 1x quer durch Sachsen! Meine Diplomarbeit hat den Szenekram als Thema. Zuletzt hab ich mit dem „Museum für Deutsche Geschichte“ in Bonn verhandelt, ob mein altes Archiv dort eingelagert werden könnte und sollte. Ich kann also mit ziemlicher Sicherheit mitreden.
Als alte Häsin beobachte ich einen bedenklichen Wandel seit ca. 2015, der sich zuspitzt. Ein Wandel, der die „alten“ LSBTs nicht mehr abholt. Da spreche ich von den heute Mitte 30 Jährigen bis Ü70ern. Ca. 500 davon stehen in unserer Region kopfschüttelnd dem jetzigen CSD-Treiben gegenüber. Genau wie viele Heteros.
Ein Erklärungsansatz
Die Falle: Das Internet
Bis 2012, 2015 vielleicht, bestand die Szene in der Oberlausitz und ganz Sachsen aus Gruppen! Dazu gab es Szene-Kneipen und Szene-Partys. Das ganze Ding hatte also Struktur. Und dann begann der Wandel. Das Internet übernahm mit seinen Verlockungen den Platz, den wir vorher durch zwischenmenschliche Begegnungen ausgefüllt hatten. Jetzt saß jeder allein zu Hause und wischte Profile von links nach rechts und anders rum. Dates bestellte man wie im Katalog. Es ging nach Foto und Steckbriefdaten, aber nicht mehr um echtes Kennenlernen und menschliche Begegnung. Damit wurden Kneipen und Partys aber immer leerer. Das, was im echten, realen Leben bisher für Kontakte gesorgt hatte, schien überholt und überflüssig. Eine ganz fatale Geschichte! Diese Flirtportale haben uns ganz viel geraubt.
Eine Erkenntnis, die langsam bei allen ankommt – und Heteros übrigens nicht anders geht. Oder wer kann sagen, er geht bis heute regelmäßig zu seiner Sportgruppe, hat seinen Rommeeclub und führt die meisten Gespräche offline an einem Stammtisch? Wir sind alle durch dieses Online vereinsamt und separiert. Vor allem fehlt ein regulierendes Miteinander. Der Ton ist durch dieses „online“ rauh geworden, persönliche Angriffe mit Worten fallen leichter, Missverständnisse sind an der Tagesordnung. Das betrifft Heteros wie Homos! Die Szene hat damit Partys, Kneipen und Gruppen verloren. Die gesamte Gesellschaft beobachtet ihr Kneipen sterben und Läden schließen. Wir sind online – und damit nicht mehr da im realen Leben.

2017 alles erreicht
2017 wurde die „Homoehe“ zur „Ehe für alle“ und damit hatte die Szene ihr wichtigstes Ziel erreicht. 100% rechtlich gleichgestellt. Dafür hatten viele Jahre und Jahrzehnte gekämpft und nahmen sich nun, wo das Ziel erreicht war, raus. Die Alten hörten einfach auf, heirateten, zogen Kinder auf und lebten so bieder und normal ein Familienleben, wie sie es immer wollten. Aber irgendwie musste es ja weiter gehen und neue Ziele gefunden werden.
Diese lagen offenbar in der Erschaffung von 89 Geschlechtern, der Abschaffung wirklich sinnvoller psychologischer Gespräche vor einer Geschlechtsänderung. Und der Entwicklung immer neuer Perversitäten – alles geschützt von Toleranzgesetzen. Da kommen die meisten von uns Homos tatsächlich auch nicht mehr hinterher! Das Heteros es auch nicht mehr verstehen, ist durchaus nachvollziehbar.

Politische „Kampftruppen„
Hatten von 1997 – 2010 Parteien auf dem Dresdener CSDs nur eine völlig untergeordnete Rolle gespielt, kam jetzt ihre große Stunde. Bis dato interessierte sich niemand für Parteistände auf einem CSD. Es war doch sonnenklar, die wollen maximal Mitglieder gewinnen. Und wir waren nicht parteilich. Beim CSD ging es um Liebe, es ging um Gleichstellung, es gab politische Anliegen, ja. Aber es ging niemals um Parteigeklüngel. Der CSD war im Grunde überparteilich und LSBTs in der Mehrzahl auch! In keiner Disko oder Kneipe hätte man Parteiflyer gefunden. Und ob jemand grün-blau-lila wählte, war überhaupt nicht Thema. Das Verbindende stand im Vordergrund, nicht das Trennende.
Stattdessen stellte man Forderungen an die Politik. Von unten aus dem Volk an die Volksvertreter.
Jetzt ist es genau andersrum: Jetzt wird eine forcierte politische Meinung via Parteivertreter und Medien ins Volk gedrückt, von oben nach unten also. Und dein geheimes Kreuz auf dem Wahlschein wird zum Ausschlusskriterium erklärt, wer überhaupt mit dir redet und ob du dazu gehörst oder nicht. Wir leben die Trennung! Übrigens nicht nur Homos, auch Heteros. Und alles ist politisch, sogar ein einfaches Straßenfest oder Familienfest. Das fällt inzwischen sogar Heteros auf, dass man nirgends einfach nur noch „normal“ und politik-frei hingehen kann. Aber so ist diese Zeit.
Ab 2017 engagierten sich also weniger Akteure, Gruppen schliefen ein, Kneipen und Partys hörten auf – die Parteien jedoch blieben übrig. Da Homos mit 5 – 10% der Bevölkerung dann doch eine interessante Wählergruppe sind, war man stets um sie bemüht – und so langsam funktionierte es, den CSD parteilich zu kapern. Wenn heute Linke, Grüne und radikale Gruppen CSD-Organisatoren sind, dann liegt es daran, das sie ans Ruder gelassen wurden.
Zu diesem Thema hab ich mich bereits in einem früheren Beitrag geäußert, hier.

Toleranz mit der Brechstange
Ein Ding, was gar nicht geht, wurde auf EU-Ebene erfunden. Wer nicht tolerant war, konnte ab 2012 belangt werden. So, wie Gesetze gelagert sind, fließen auch Gelder. Und wer kennt sich mit Gesetzen und Fördertöpfen aus? Die Parteien und NGOs! Es ist aber egal, wieviel Geld man in Demos, Fernsehsendungen, Kinofilme, Feste, Ausstellungen, Vereine pumpt: Toleranz entsteht nicht mit der Brechstange. Es hat nur dafür gesorgt, dass es Heteros inzwischen gehörig auf den Sack geht, dass keine Fernsehsendung mehr ohne „Quoten-Schwulen“ auskommt, CSDs wie Pilze aus dem Boden schießen, wir bei 89 Geschlechtern sind, wir allen und jedem alles durchgehen lassen müssen – weil man ja tolerant sein muss. Homos nervt es inzwischen auch. Zu keinem Zeitpunkt „früher“ wollten Homos Heteros nerven. Wir wollten lediglich die gleichen Rechte für unsere Partnerschaften und Kinder, und unsere Szene-Räume.
Uns sind durch die Zu-Tode-Tolerierung natürliche Grenzen verloren gegangen, die eine Gesellschaft eigentlich hat und die das Miteinander aushaltbar machen. Vergessen wir mal nicht: Trans kommt zu 0,6 – 0,9 % vor, lesbisch zwischen 3 – 5%, schwul zu 7 – 10% in der Gesellschaft. Das heißt: IMMER sind 90 % hetero – und dürfen es auch in Ruhe sein.
Schocktherapie für Heteros – aber wozu?
Wenn man ohne Halt und Grenzen lebt, weil alles toleriert werden muss, dann kommt es zu verstörenden Auswüchsen. Wenn der CSD in der öffentlichen Wahrnehmung zusehends zur Fetischveranstaltung degeneriert, haben wir nichts erreicht – nur dass nach außen wieder das Sonderbare, Irritierende, Übersexualisierte präsentiert wird. Das was früher als abnorm bezeichnet und stets mit LSBT in Verbindung gebracht wurde. LSBT hat aber nicht per se etwas mit Fetisch, mit schockieren, mit gestört sein zu tun. Wenn ein CSD offiziell Kinky-Partys im Programm hat, erweist sich die Szene selbst einen Bärendienst und katapultiert alle LSBTs in eine Schmuddelecke, wo die Mehrheit gar nicht steht.

Wenn auf Demos Vermummungsverbot gilt, dann aber ein paar Puppy-Fetischisten mit ihren Hundemasken und an der Leine auf allen Vieren grabbelnd teilnehmen wollen, dann höhlen wir Regeln aus, die es aus gutem Grund gibt. Und wir können es auch nicht mehr den Kindern am Straßenrand erklären.

Wenn Schwule auf dem CSD Truck sich quer durch Berlin vögeln müssen, sind schlagartig nicht nur alle Heteros raus, sondern die Lesben gleich mit und die normalen Schwulen, die ihre gesunde Sexualität zu Hause ausleben, ebenfalls.
Wenn wir uns das nun alles andersrum vorstellen würden, begreifen wir LSBTs eventuell, was einige wenige von uns da für einen Bärendienst erweisen:
Wöllten wir Heteros beim Sex zuschauen? Wöllten wir, dass Heteros von früh bis spät von ihrer Sexualität reden? Wöllten wir, dass Sexclubs und Fetischclubs „Tag der offenen Tür“ haben und wir ständig zum Zuschauen gezwungen werden?
Ich versteh alle Heteros, die von den verstörenden Anblicken angewidert sind. Aber ich versichere Euch: Das sind nicht „DIE“ Schwulen und Lesben, sondern ein paar wenige Exemplare – die mit Vorliebe von Kameras eingefangen werden und dann präsentiert werden als Stellvertreter von „allen“ CSD-Teilnehmern. NEIN! Aus gutem Grund gehen die meisten von uns LSBTs auf keine CSDs mehr. Denn es ist auch aus unserer Sicht nicht mehr „normal“.
Gesellschaftsumbau
Als wir 2012 mit Partys in Görlitz aufhörten (siehe LSBT Geschichte Görlitz), war einer der Gründe, dass die ganzen guten Leute weggegangen waren. Bis Anfang der 2010er wirkte die Wende ´89 noch nach und junge Menschen verließen reihenweise die Heimat. Natürlich auch Schwule und Lesben. Wenn heute alle, die damals nach Dresden, Berlin und ins Ausland gingen, wieder heim kämen, wären richtig viele tolle LSBTs hier.
Tatsächlich aber blieben viele „Andere“. Bildungsferne, sozial schwache Vertreter mit multiplen sozialen Problemlagen, inklusive Alkohol und Drogen. Und ein paar Vernünftige, aber halt nicht viele. Etwas, was für Heteros genauso gilt. Wir sind halt in der Randlage der Republik und inzwischen überaltert.
Hinzu wiederum kamen in Görlitz 5.092 (meist katholische) Polen und 4.475 Ausländer aus zumeist nicht gerade homofreundlichen Herkunftsländern. Knapp 10.000 Menschen also, die eine völlig andere Sozialisierung in Hinblick auf Akzeptanz und Toleranz von Homosexualität mitbringen. Die sogenannte „Quote“ an LSBTs dürfte bei uns unter 10% liegen. Man muss das alles realistisch betrachten.
Und nun das Verrückte…
Hauptsache viel?
Obwohl wir also aus der eigenen Bevölkerung heraus gar nicht in jeder kleinen Stadt einen CSD stellen könnten, wird es forciert. Und weil die unter 10% der Bevölkerung in unserer Region bisschen mickrig aussehen würden (es sind ja auch gar nicht alle „out“), werden Menschen rangekarrt. Vornehmlich aus politischen Lagern, völlig gleich, welche sexuelle Orientierung. Und weil das auch nicht reicht, werden Busse aus anderen Städten und sogar anderen Ländern rangekarrt. Und weil auch das nicht reicht, lädt man alle homofriendly Schülergruppen und Heteros ein, weil zum CSD gehen ja auch „vogue“ ist inzwischen.
Es entsteht also ein Mix aus wenig einheimischen LSBTs und ganz viel Durcheinander von überall her, was politisch motiviert ist. Dazu ist vielfach ein Muttizettel nötig, weil es vom Alter her noch gar nicht geht. Fetische werden präsentiert und Homos wie Heteros sollen das aushalten und in ihren Reihen tolerieren. Und der Rest wird aufgefüllt mit toleranten Gutmenschen. „Hauptsache viele“ ist aber kein CSD, von dem irgendein LSBT aus Görlitz, aus Zittau, aus Bautzen was hat. Es ist auch kein CSD, der bei irgendwelchen Heteros die noch mit dem Thema haddern zu der Erkenntnis führt, das Homos ja vielleicht doch ganz nett und in Ordnung sind.
Ganz im Gegenteil: Dieses Mixed Pickles unterm Regenbogen hält uns sogar ab, teilzunehmen. Qualität wäre schön, nicht Quantität!
Aber aus jedem Chaos entsteht ja bekanntlich Ordnung…
Die Alten vs die Jungen
Nun ist mir definitiv klar, dass wir zur Riege der „Alten“ gehören, die von „Früher“ erzählen. Geboren 19hundert-nochwas, mit DDR-Erfahrung, mit Aufbau von Szenestrukturen, wo bis dato nur luftleerer Szene-Raum war, hat man ein anderes Bewusstsein, als die „Küken“ heute. Die 2.000er datteln sich durchs Internet und finden da ihre Menschen und mögen diese Oberflächlichkeiten. Sie erklären Alleinsein zur Me-Time und probieren sich durch die Geschlechter und alle Haarfarben. Und wenn Papa Staat sagt, wie man denken soll, ist das wunderschön einfach.
Dass etwas fehlt, dass etwas schräg ist, fällt vor allem den „Alten“ auf, die es anders kennen. Und auch das betrifft wieder Heteros wie Homos bei allen gesellschaftlichen Themen. Man kann also nur von diesem ominösen „Früher“ erzählen, was inzwischen unvorstellbar scheint.
Und in andere Länder gucken, bei denen es anders läuft…
Der skandinavische Weg
2024 war ich mir den CSD in Göteborg angucken und dachte sofort: Die sind in ihrer Entwicklung dort gerade weiter gelaufen, wo wir 2017 irgendwie falsch abgebogen sind. Dass es also möglich ist, einen vollständig anderen CSD auch heute noch zu haben, will ich gern in einem extra Beitrag aufzeigen, hier.

Randnotiz
Dieser Text ist eine Gemeinschafts-Produktion von drei Lesben aus unterschiedlichen Teilen von Sachsen, die sich bereits in den 2.000ern engagierten. Die Fotos zur Auflockerung des Textes stammen von PixaBay.
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