Auf Spurensuche in Hennersdorf

Neues-Gaswerk-Görlitz-bei-Hennersdorf-2020
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Ich bewaffne mich mit historischen Fotos von vor 1945 und begebe mich auf Spurensuche der Geschichte in dem Vorort von Görlitz, der so eng mit der Stadt verbunden war. Geocach für historisch Interessierte und Heimatverbundene sozusagen…

Die Sache mit dem Gaswerk

1852 beschließt die Stadt Görlitz, ein Gaswerk muss her. Wir wollen die Straßenlaternen mit Gas betreiben. 1854 ging das Gaswerk in der Lunitz ans Netz. (Ich untermauer den ganzen Text mit historischen Fotos). In diesem Gaswerk erzeugte man aus Steinkohle und später auch Pechkohle Gas durch Vergasung. Schon 1856 reichte die Kapazität hinten und vorne nicht mehr, da nun zur Straßenbeleuchtung auch Gasherde in den Wohnungen gekommen waren. Das Werk in der Lunitz wurde erweitert. (Anmerkung: Wir feiern da 2020 die Zukunftsvisionen im alten Oktogon).
1905 wurde ein neues Werk in Hennersdorf gebaut.

1905 wurde ein neues Werk in Hennerdorf gebaut?
Ich stehe überfordert beim ersten Besuch im Dorf Hennersdorf und frag mich, wo die ein großes Werk versteckt haben? Müsste man doch irgendwie sehen können. Die Erleuchtung kommt abends zu Hause. Nicht IN Hennersdorf, sondern auf Flurstücken (also Land), die einst zu Hennersdorf gehörten. Also quasi im Gewerbegebiet. (historische Fotos)

Nächsten Tag vormittags fällt mir eine alte Karte in die Hand.
Das “Neue Gaswerk” der Stadt Görlitz wurde exakt gegenüber des Klärwerks an der Rothenburger Straße gebaut.

1929/1930

Ich fahr also die Straße nach Bunzlau (Bolesławiecka) bis zur alten Busenstraße (Fabryczna) und steh vor dem “Neuen Gaswerk der Stadt Görlitz” von 1905. Wer Industriedenkmale liebt a la Brauerei, Bombardier, Siemens (Waggonbau), Roscher u.s.w., der muss da mal hin. Haltet Euer Herz fest, es gibt kurz einen Ruck.

Eingang mit Verwaltungsgebäude
typisch geschwungene Giebel
gepflegte Anlage, bis heute die “Gasanlage in Zgorzelec”

1945 wird die Grenze gesetzt und eiskalt geschlossen. Bis 1946 sind die Görlitzer im Westteil der Stadt ohne jede Gasversorgung! (Absatz, Pause: fühlen!)

In den 70ern entdeckt man die Erdgasvorkommen in der Nordsee und in Russland. Danach wird Europa umgebaut, schafft seine lokale, selbstständige Gasproduktion vor Ort ab und hängt sich an riesige Überlandleitungen. So ist es bis heute geblieben. Die Stadtwerke stellen kein Gas mehr her. Sie betreiben bestenfalls das Netz, durch welches das Gas in die Haushalte fließt und betreiben auf jeden Fall die Verwaltung der Netzgebühren. Wer sich in die Geschichte der europäischen Gasversorgung einlesen will, kann dies hier tun.
Eine aller letzte Gaslaterne steht noch in der Hotherstraße, Just for Fun.

Geschichte wiederholt sich!

Nun plant Görlitz die Fernwärmeversorgung von Görlitz~Zgorzelec zusammen zu legen und dazu ein modernes Heizwerk bis 2030 zu bauen. Nun ratet mal wo?

Offenbar gibt es manchmal so Anomalien auf dem Zeitstrahl. Es ist doch “seltsam”, dass dieses künftige Heizwerk ca. 500 Meter Luftlinie von unserem ehemals “Neuen Gaswerk” entfernt stehen soll… Ich wunder mich 2 ganze Tage darüber.

Papierfabrik, Käsefabrik

Hennersdorf hatte sich Ende des 19 Jhd zu einem Industriestandort gemausert. Es war also gar nicht so dörflich, wie man denkt. Eher so wie heute Kodersdorf oder auch das Gewerbegebiet Ebersbach. Wir kennen das schon von Moys. Dort hatte die Familie Arnade ihre Kofferfabrik hingesetzt, es gab die Tuchfabrik Krause sowie die Tuchfabrik Max Raupach, als auch Gruben für Braunkohle, Sand und Kies. Auch dazu fällt mir eine Notiz in einem Lexikon in die Hand von 1935. Wer Görlitz als Grenzstadt am Rand von Deutschland denkt, begreift nicht, dass wir Metropole auf einer Achse mit Leipzig, Dresden und Breslau waren, ausgelegt (baulich angedacht!) auf 100.000 Einwohner. Welchen Einschnitt 1945 bedeutete, begreift man nur schrittweise.

Ich such also die Papierfabrik (historische Fotos) und finde ein Objekt mit passender Beschriftung auf der Bunzlauer Straße. Alte historische Unterlagen weisen sie abweichend direkt beim Gaswerk aus – keine Ahnung! Was ich finde, ist heute teils bewohnt, vielfach mit Zäunen zerstückelt, umgenutzt und verfällt.

Alfred Jaeschke Papierwaren

Was die Käsefabrik im Großbetrieb Paul Mücke (historisches Foto 1912) als auch die Käsegroßfabrik Greulich (historisches Foto 1920) angeht, so bin ich überfragt. Die Sichtachse von der Papierfabrik Jaeschke auf Peterskirche und Landeskrone passen zu alten Darstellungen. Auch ein vorgelagertes Haus, was heute zum Verkauf steht. Vielleicht war es erst Käsefabrik und dann Papierfabrik? Wenn es jemand genauer weiß, gern melden.

Haus vor der Käsefabrik. Steht zum Verkauf.

Im Mittelalter waren die Görlitzer Produzenten und Händler in alle Welt.
In der Gründerzeit waren die Görlitzer Produzenten und Händler in alle Welt.
In der DDR waren die Görlitzer Produzenten in die sozialistische Welt.
Und nun?
So einfach versteht man, wie der Reichtum nach Görlitz kam. So einfach findet man den Fehler im heutigen System.

Gastronomie im Ausflugsziel Hennersdorf

Es werden verschiedene Ausflugslokale genannt.
– Gasthof Zum weißen Lamm (historisches Foto)
– Gasthof Zur Eisenbahn (historisches Foto)
– Wilhelm Geisser´s Restauration (historisches Foto)
– Stadt Berlin (historisches Foto)
– Der Rittersaal am Schloss Hennersdorf
Das hat in dieser Vielzahl auch nichts mehr zu tun mit Dorf, wie wir das heute kennen.

Ich finde noch den “Gasthof Zum weißen Lamm”

Leer
Rückseite

Und das “Stadt Berlin”

rechts das, heute bewohnt.

Kirche und Friedhof

Spannend ist, dass die Kirche von 1346 als Wehrkirche angelegt wurde, also von einer dickem Mauer umgeben ist. (historische Fotos) Das finden wir in der näheren Umgebung so noch in Horka. Das Kriegerdenkmal (historische Fotos) finde ich nicht mehr. Das alte Pfarrhaus nutzt heute die katholische Gemeinde.

Wehrkirche Hennersdorf
Seite, wo das Kriegerdenkmal stehen müsste
Blick nach Innen
Altes Pfarrhaus

Der Friedhof hat die Polonisierung abbekommen. Die Friedhofsmauer hat hier und da noch alte Schmuckelemente, die Gedenktafeln sind entfernt. Was sich unter dem vielen Efeu noch verbirgt, wäre zu erkunden. Erstaunlich ist dann doch, wieviel deutsche Tafeln noch da sind. *bewegend
1941 hatte Hennersdorf 1.079 deutsche Einwohner. Alle mussten raus. Falls jemand seine Familienwurzeln in Hennersdorf hat: Es lässt sich noch was finden. 2015 waren es 694 polnische Einwohner.

Gigantische Bauernhöfe, Schule, Viadukt, Wasserkraftwerk Ludwigsdorf

Hennerdorf hat viele gigantische Gutshöfe. Sowas braucht man heute nur noch, wenn man einen Milchviehbetrieb betreibt, wie Neumanns in Girbigsdorf (Milchtankstelle!). Die Netflix-Generation braucht im Grunde nur einen Fernseher und ein Sofa. Das geht auch in einer Einraumwohnung. Wir haben kaum mehr eine Vorstellung, was es bedeutete, eine solche Anlage zu bewirtschaften.

Das Schuster`s Gut in Hennersdorf (historisches Foto).

Die ehemalige Schule (Nr 74) wird heute als Kindergarten betrieben. (historisches Foto)

Der Viadukt nochmal von der anderen Seite. (historische Fotos)

Und auch das geht von Hennersdorf aus: Man kann einen Blick auf das Wehr der Neiße mit dem Wasserkraftwerk Ludwigsdorf werfen. Hier befinden sich auch Ein- und Ausstiegsstellen für Kanureisende.

Nach dem Wochenende ist Hennersdorf kein weißer Fleck mehr auf meiner inneren Landkarte. Es ist eng verbunden mit der Stadt Görlitz. Es ist mit der Sage um den Teufelsstein, dem Emmrich Schloss, der städtisches Gasanstalt und als Industriestandort, aber auch mit seiner 715 jährigen Dorfgeschichte und als beliebtes Ausflugsziel Teil von Görlitz. Ich hab es mir zurück in mein Bewusstsein geholt.

Alles, was es brauchte in der Hosentasche.

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