Mitten in der Altstadt von Görlitz steht ein „Schloss“. Zumindest sieht es Innen exakt so aus, wie man es von Dresdner Zwinger, Schloss Moritzburg oder dem Pückler Schloss kennt. Dorthin machen viele extra einen Ausflug, während das Görlitzer Schloss den meisten unbekannt ist. Weder wohnt da jemand, den man besuche könnte, noch gibts da Waren des täglichen Bedarf. Und so ist es nie Ziel und guckt sich einfach weg. Gemeint ist das Barockhaus Neißstraße 30 – der absolute Oberknaller. Ich will es Euch hier näher bringen:
1779 Gründung der Oberlausitzschen Gesellschaft der Wissenschaften
Ich will euch das Wesen, den Sinn, des Gebäudes erklären, dass wir heute  Barockhaus nennen und als Museum empfinden. Das ist es  nicht! 
 Versetzt Euch  gedanklich ins Jahr 1779. Es gibt noch kein Strom, es gibt noch keine  Autos, es gibt viele Geräte und Maschinen noch nicht, keine Flugzeuge,  quasi nichts, was heute unsere Lebenswelt ausmacht. Man konnte laufen oder reiten, beim Kerzenschein sitzen und mit Werkzeugen hantieren. 
  Und es gab noch kein lebenslanges Lernen, wie wir es heute dank  Volkshochschule, Workshops, Internet, Fernsehen, eigenen Studienreisen  und Weiterbildungen haben. Man studierte also (in Leipzig, Frankfurt  Oder oder Heidelberg) und trug dann Wissen in sich. Aber es fehlte die  Weiterentwicklung und der Austausch. Die menschliche Natur ist jedoch  von Neugierde und Wissensdrang geprägt.
 Und so gründeten 1779  Karl Gottlob Anton und Adolph Traugott von Gersdorf die „Oberlausitzsche Gesellschaft der Wissenschaften“. 

Anton 
Gersdorf 
Die Mitglieder waren alle samt Gelehrte – und das waren zu dieser Zeit vor allem Adlige, Professoren, Lehrer. Es wurde keine Universität oder Akademie gegründet. Es gab keine Studenten. Man wollte den Austausch miteinander und mit allen Fachrichtungen. Man wollte zusammen kommen und sich die neuesten Erkenntnisse mitteilen und über Experimente staunen. Man wollte forschen.

Jedes Mitglied wurde verpflichtet, selbst zu publizieren. Außerdem musste jeder einige „Merckwürdigkeiten oder Münzen oder Alterthümer“ zu der angelegten Sammlung spenden.

Was wir heute also als Museumsgegenstände empfinden, das war damals das Neueste in Sachen „Technik“, Wissenschaft, Meisterwerke der Künste, Objekte zur Zeitmessung, der Heilkunde und vor allem Schriften. Alles sollte möglichst einen lokalen Bezug zur Oberlausitz haben!
Und so ergibt sich also eine Art Zeitkapsel mit dem Non-Plus-Ultra der damaligen Zeit – mit dem die auch gearbeitet haben. Diese Dinge wurden benutzt und sich daran gebildet. Stellt Euch vor, welche Schätze wir hätten, wenn die Gebildetsten und die Sammler aus unseren Reihen ihre Objekte zu einer einzigen großen Sammlung zusammentragen würden. Genau das begann 1779.
Bis 1945 bestand die Gesellschaft. 1990 hat sie sich wieder gegründet und hat heute 200 Mitglieder im In- und Ausland. Man trifft sich 2x im Jahr und die Mitglieder publizieren bis heute.
Es ist also kein klassisches Museum, sondern eine Sammlung an Forschungsobjekten. Wer sich für Physik, Geologie, Vermessung, Archäologie, seltene Instrumente, ungewöhnliche Möbel, Münzen und Siegel, die schönen Künste in Form von Schmiedekunst, Malerei, Gedichte und all diese „Fachrichtungen“ interessiert, der wird äußerst beglückt sein. Wer durch rennt und es wie ein Museum betrachtet, hat zwar auch Dinge gesehen aber den Geist und die Schönheit dieser Sammlung nicht erfasst. Es ist ein Schatz.

Giraffenklavier 
Glasharmonika 
Physikalisches Kabinet 
Puppenhaus 
Es empfiehlt sich eine Führung mitzumachen, um in den Geist von 1779 zu kommen. Die nächsten Termine hier.
Zur Gesellschaft hier. 
PS: Nun wisst ihr auch, warum die Gersdorf- und die Antonstraße so nah beieinander liegen in Königshufen.  
Prunkstück: historischer Büchersaal
Wenn ich nun erzählt habe, wie es zum Inhalt des Barockhauses Neißstraße 30 überhaupt kam, dann ist klar: Bücher spielten seit Gründung der „Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften“ 1779 eine ganz wichtige Rolle. Wissenschaftliche Bücher! Prunkstück ist sicherlich der historische Büchersaal, wo man nur mal gucken kann, aber nichts anfassen. Er gehört zu den schönsten Bibliotheksräumen Deutschlands. Hinten auf dem Pult liegt ein Buch, da passte alles damalige Wissen hinein. Als würde man heute das Internet ausdrucken. 😉

In diesen berühmten Saal, der schon in Görliwoodstreifen zu sehen war und in Zeitungen auf dem halben Erdball, kommt man nur mit Führung rein. Dann gibts ne kleine Erklärung, bei der man etwas zur Machart der alten Bücher vor dem Buchdruck erfährt, über den Inhalt der Schriften und ihr Alter. Nächste Termine hier.
„Die Fürsten in ihren Kaufmannsburgen“
Goethe soll auf der Durchreise durch  Görlitz mal gesagt haben: „In Görlitz residierten die Bürger wie Fürsten  in ihren Kaufmannsburgen.“ Im Barockhaus bekommt man eine Vorstellung  davon, wie herrschaftlich die reichen Görlitzer wohnten. Wenn ich doch sage, wie ein „Schloss“!
Das Gebäude  ließ sich der reiche Leinwand- und Damasthändler Christian Ameiß  zwischen 1727–1729 errichten. Im 1. OG findet man  seine/eine barocke Wohnung mit original Einrichtungsgegenständen aus  dieser Zeit incl Stuck, prunkvollen Öfen und jede Menge Kunst. 
Das  Foto stammt aus dem 2. OG., wo sich ab 1779 die „Oberlausitzischen  Gesellschaft der Wissenschaften“ traf. Auch die Freimaurerloge „Zur  gekrönten Schlange“ (seit 1764) traf sich hier. Leben wie Fürsten?  Konnten die Görlitzer. 

Zweiflügelige Anlage mit Sonnenhof
Auch das Gebäude selber ist der Knaller. Ich wills euch zeitlich  einordnen: Görlitz hatte den Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648)  halbwegs überstanden, aber drei Stadtbrände hatten es schwer getroffen: 
 – 1691 waren es 200 Häuser, die ein Stadtbrand vernichtet.
 – 1717 der größte Stadtbrand in unserer Geschichte vernichtet 403 Gebäude.
 – 1726 holt der nächste Stadtbrand zahlreiche Häuser.
 (Wer ein wichtiges Hobby sucht: Engagiert euch in der Freiwilligen Feuerwehr!)
 
  Na und was macht man, wenn gerade alles in Schutt und Asche liegt?  Genau: Neubauen! Ich hätte ja lauter süße Fachwerkhäuschen wieder  aufgebaut und den Charme von Rothenburg ob der Tauber oder Quedlinburg  gezaubert. Das fiel aber den Görlitzern 1726 nicht ein. Die bauten  barocke Paläste. Da kann man noch froh sein, dass nicht 1970 war. Sonst  hätten wir jetzt Plattenbauten in der Altstadt stehen, wie es dem armen  Lauban passiert ist.
 
 Zurück zu Görlitz: Also gut, es sollte neu  und barock werden, groß und üppig. Wer hat, der kann – und der zeigt  auch, was er kann. Der Leinwand- und Damasthändler Christian Ameiß  kaufte mal fix das Grundstück Weberstraße 1 und Handwerk 2 und klöppelte  seinen Palast dort hin. Und weil das in Leipzig gerade voll in Mode war  sich „Durchhäuser“ zu bauen, geschah dies auch in Görlitz. So ein  Durchhaus ist ein Ding, wo man vorn reinfährt mit seiner Kutsche,  drinnen be- und entlädt und hinten wieder raus kann (ohne wenden zu  müssen). Die Vorläufer der heutigen Einkaufspassagen. Wer also bisher  dachte, die erste und einzige Passage in Görlitz sei die  Straßburgpassage – nein nein. Geht euch mal das Barockhaus angucken! 
 
  Und so kann man also auf der Neißstraße rein und durch einen  italienisch anmutenden Sonnenhof hindurch kommt man Handwerk wieder  raus. Bei Brautpaaren ist dieses Ambiente sehr beliebt. Rechts und links  von diesem Sonnenhof erstreckt sich das zweiflügelige Haus, was heute  die Sammlungen der „Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften“  beherbergt. Im übrigen starb der Ameiß so verarmt, dass man heute im  ganzen Barockhaus kein einziges Bild von ihm findet…
Foto: Das zweiflügelige Barockhaus mit dem Sonnenhof, welcher Neißstraße mit Handwerk verbindet. 

Viele Görlitzer Schätze
Vermutlich krieg ich Euch ja doch nur in dieses Barockhaus gelockt, wenn ich verrate, dass dort mindestens 6 geile, großformatige, uralte Görlitz Bilder rumhängen. Wonach wir uns online die Fingerchen lecken, dass gibt es dort live in XXL und brillianten Farben. Hier ein Ausschnitt vom Obermarkt 1826, Öl auf Kupfer von einem unbekannten Maler.

 Lasst mich dazu auch noch was  sagen: Wir haben schon gehört,  dass jeder, der Mitglied in dieser  „Oberlausitzischen Gesellschaft der  Wissenschaften“ war auch  irgendwelche „Merckwürdigkeiten oder Münzen  oder Alterthümer“ spenden  musste. Und nachdem Görlitz also von Krieg  belagert und 3x abgebrannt  war, hatten Künstler in Görlitz richtig viel  zu tun und ein gutes  Auskommen. Denn all die neu gebauten  „Kaufmannsburgen“ ab 1726 wollten  ja auch innen dekoriert werden. Deko-  und Möbelladen war noch nicht.  Also musste Kunsthandwerk her. 
Diesem  Umstand ist es zu verdanken, dass  es von Görlitz (und den vornehmen  Görlitzern) so wahnsinnig viele und  schöne Gemälde, Schnitzerein,  Porzellan, Intarsien u.v.m. gibt – die  alle in diese Sammlung  eingeflossen sind und zum Glück erhalten  blieben. So hängt das alles  zusammen…
Ein Beitrag vom 6.12.2018

1740 
1815 
Intarsienarbeit mit Görlitz 
1733 
1826 
1855 
„Eure schönen Kommentare
“ Leider hat man  dieses schöne Zitat dem guten Goethe wohl fälschlich in den Mund gelegt.  Zumindest aber lässt es sich nicht nachweisen. Man munkelt, er habe nur  gefrühstückt und sich in der Provinz auch nicht sonderlich  wohlgefühlt… Er hatte sicherlich nur  zu wenig Zeit und konnte ja auch nicht wissen, was für eine Perle aus  der Stadt einmal wird! Dennoch: Unser schönes Barockhaus mit der Wohnung  des Johann Christian Ameiß und dem Erbe der Oberlausitzischen  Gesellschaft der Wissenschaften ist ein unbedingtes „must see“ und  republikweit ohne Parallele – das wissen die Görlitzer selbst ganz oft  noch nicht. Kann man aber ganz leicht ändern! Derzeit gibt es außerdem  ein großartiges Puppenhaus und eine fantastische Ausstellung  historischer Kinderbücher zu sehen. „
“ Was dem ollen Goethe immer so  alles in den Mund gelegt wird. Am Ende hat er noch die Goethe-Straße  eröffnet. Mit Banddurchschnippeln und Blasmusik.“
> “ Das ist natürlich  lustig im Kopf. Also gucken wir mal: Der Goethe ist 1832 gestorben. Da  hockten die Görlitzer noch hinter ihrer Stadtmauer und Demiani malte  Pläne, wie man das bauen könnte, was wir heute Innenstadt und Bahnhof  nennen. Die Goethestraße war vermutlich  noch eine Lagune des Neißetals. Wir erinnern uns: Die Brauerei wurde  ebenerdig angefangen zu bauen und dann 3 Etagen aufgeschüttet drum rum,  damit die Keller entstanden. Und wenn du mal hinterm Tierpark bist,  biste auf einem Damm. Der Teich im Tierpark einerseits und die  Gartensparte anderseits liegen deutlich tiefer. Die Goethestraße ist  also möglicherweise-eventuell auch aufgeschüttet. Kurz: Bevor dem Goethe die Äuglein für immer zu fielen, war da nichts.  Sein Denkmal wurde 1902 eingeweiht – erst 70 Jahre später. „
“ Wohnt echt nicht schlecht, unsere Insiderin. „
> “ na, psssst „
“ Ein sehr guter  Beitrag, zeigt er doch, dass unser Görlitz mit seinen Menschen schon  damals den Geist des Fortschritts vorangetrieben hat. Umso mehr schmerzt  es, dass Görlitz in der Entwicklung.nicht mehr den Platz innehat, den  es eigentlich verdient. Die Altvorderen  haben nämlich erkannt: die Kultur ist die Triebkraft der Ökonomie und  danach haben sie Bildung und Kunst ausgerichtet und gefördert. Görlitz  wurde reich und bekannt. Was ist nach 1779 alles an kulturellen  Bauwerken entstanden und jetzt? Viele sind abgerissen oder schlummern  vor sich hin.«Kultur ist die Gesamtheit der Lebensäußerungen der  menschlichen Gesellschaft in Lebensführung und Lebensgestaltung, in  Sprache, Religion, Wissenschaft und Kunst.»
So steht es, vielleicht noch umfassender definiert, in allen seriösen Enzyklopädien. 
«Die  Kultur ist ihrem Wesen nach also zweifach. Sie verwirklicht sich in der  Herrschaft der Vernunft über die Naturkräfte und in der Herrschaft der  Vernunft über die menschlichen Gesinnungen», sagte viel später einmal  Albert Schweitzer. 
Wird die Entwicklung der Kultur in  Görlitz unter diesen beiden Aspekten betrachtet, dann stellt der Leser  fest, sie umfasst alle Lebensbereiche der Bürger in unserer Stadt. Die  Görlitzer Kultur ist so umfangreich und gleichzeitig so einmalig, wie es  vielleicht keine andere deutsche Stadt in ihrer Entwicklung aufzeigen  kann. „
“ Danke für die vielen Informationen. Wieder wunderschön in Worte verpackt. 🤗 „
“ richtig spannend in alten Häusern rein zu gehen 
Natürlich denkt man wie die Leute früher mal so gelebt haben 
Also spannend ist es schon 🤗👍 „
„ müssen wir mal hin 😊 „
„Sind die angedeuteten Bögen und Balustraden im „Sonnenhof“ der Urzustand oder waren dort frühere Balkone oder Wandelgänge?“
> „Nein, die sind nicht der Urzustand die Bögen waren auf allen Etage ursprünglich offen (die weißen Flächen um die Fenster) – so wie am rechten Bildrand erkennbar. Die eigentliche Balustrade war wohl schon immer nur gemalt (was häufig aus Kostengründen erfolgte – siehe Haus Peterstraße gegenüber vom Tuchmacher) das weiß ich jedoch nicht genau. Als das Haus in den Besitz der Oberlausitzschen Gesellschaft der Wissenschaften ging wurden die Bögen nach und nach mit großen Fenstern geschlossen (Da gibt’s glaube ich auch noch eine Stelle wo große Fenster drin sind). Später wurden dann die Bögen vermauert und kleine Fenster eingebaut. Ich denke für das schließen der Bögen gab es zwei Ursachen. Zum einen es wurde mehr Platz und zusätzliche Räume geschaffen und zweitens das Haus ließ sich besser heizen, wenn der kalte Wind nicht mehr durch die offenen Gänge pfiff.
Als das Haus gebaut wurde (durch den Damasthändler Christian Ameis) machten die offenen Bögen (vor allem im Erdgeschossbereich) durch aus Sinn. So konnte gut Ware präsentiert werden, Kutschen schnell be- und entladen und geparkt werden.
Die nachfolgenden Besitzer brauchten dann eher geschlossene Flächen und deshalb mussten die offenen Bögen verschwinden. Bei der letzten Restaurierung ist dann die Farbgestaltung so gewählt worden, dass die ursprüngliche Gestalt noch erkennbar und die einzelnen Etappen der Umgestaltung nachvollziehbar sind.“
Hier unter dem Beitrag sind so bunte Symbole. Damit könnt ihr den Beitrag an Freunde teilen über Whatsapp, Instagram, Twitter, per eMail etc. Probierts mal aus!











