Straßennamen und ihre Bedeutung – Innenstadt Ost

Postplatz-mit-Postgebäude-Görlitz
Spread the love

Hier Teil 2 der Görlitzer Straßennamen (zu Teil 1: Altstadt). Dieses Mal die Innenstadt Ost. Die Grenze bildet die Bahnhofstraße, die Neiße, die Elisabethstraße und die Krölstraße. Diese Abmessung ist gleich dem Bürgerbeteiligungsraum. Die Straßennamen sind erneut sortiert nach Kategorien.

Die Innenstadt entstand hauptsächlich mit Öffnung der Stadtmauer nach 1850 und nach Plänen des ehemaligen Oberbürgermeisters Demiani (bis 1846). Zuvor gab es bereits kleine Siedlungen auf diesem Terrain. Das Wegenetz existierte weitgehend als Handelswege nach Zittau und Bautzen, sowie zu den umliegenden Siedlungen und zu den (noch nicht eingemeindeten) Dörfer Leschwitz-Posottendorf (Weinhübel), Klein-Biesnitz und Rauschwalde.

Besonders die ständigen Umbenennungen halten uns vor Augen, welch hin und her es gibt, wenn man sich all zu sehr bei der Namensvergabe auf aktuelles Zeitgeschehen oder Figuren der aktuellen politischen Ausrichtung beruft. Deswegen plädiere ich so auf Unverfänglichkeit, Weitsicht und echten Lokalbezug.

Bezug zu Gebäuden und Parks

Wunderbare Richtungsangaben.

Am Museum – Verweis aus das Naturkundemuseum, dass hier 1858 bis 1860 errichtet wurde.
Am Stadtpark – Verweis auf den Stadtpark, der bereits im 18. Jhd angelegt wurde und zunächst aus Privatgärten wohlhabender Bürger bestand. Ab 1855 dann konkrete Pläne zur Umgestaltung eines Parks für die Bürger. Zuvor 1930 Reichenberger Straße, also eine Richtungsangabe nach Liberec.
An der Frauenkirche – Verweis auf die Frauenkirche, die hier seit 1473 steht.

An der Obermühle – Verweis auf die Obermühle, die hier seit 1305 steht.
Bahnhofstraße – Verweis auf den 1847 eröffneten Görlitzer Bahnhof.

Bahnhofstraße mit Bahnhof

Blockhausstraße – Verweis auf das Blockhaus, ein Schutzhaus für den Viadukt an dieser Stelle, später ein Gartenlokal.

Links das Blockhaus, rechts die Bahnstrecke über den Viadukt.

Brückenstraße – Verweis auf die nahe Stadtbrücke, zu der diese Straße führt(e). Zwischendrin Bolesław-Bierut Straße, ein polnischer Politiker, stalinistisch.
Hospitalstraße – Verweis auf das Zentralhospital auf der Krölstraße, erbaut 1861–1863. Heute Altenheim. Zwischendrin Otto-Nuschke-Straße, Ministerpräsident der DDR.

Hospitalstraße mit Blick auf das „Zentralhospital“, heute Altenwohnen.

Jakobstraße – Verweis auf das Jakobshospital, 1298. Ab 1305 als „Aussätzigenhaus“ oder „Die Siechen auf dem Felde“ bezeichnet.
Parkstraße – Bezug zum Stadtpark.
Postplatz – Verweis auf das Postgebäude an der Ostseite des Platzes. Seit 1887 in seiner heutigen Gestalt. 1855 erstes Postgebäude. Zuvor bis 1845 als Viehmarkt genutzt mit dem Namen „Plan“. Zwischendrin Hindenburgplatz, Reichspräsident. Dann „Platz der Befreiung“, also ein Zeitgeschehen.

Postplatz mit Postgebäude.

Schulstraße – bezugnehmend auf die 1869 eingeweihte Schule. Zwischendrin Herbert-Norkus-Straße, ein Hitlerjunge.

Bezug zu alten Siedlungen

Bevor sich die Innenstadt ab 1850 ausbreitete, gab es vorgelagerte Siedlungen.

Kleine Konsulstraße – bezugnehmend auf das Konsuldorf, eine einstige Siedlung südlich der Stadtmauern, reichte von der Neiße bis zur heutigen Jakobstraße. Konsulplatz und Konsulstraße ebenso.
Krölstraße – Krewelsdorf, einstige Siedlung südlich der Stadtmauern. Krewel ist die Gabel oder der Haken. Zwischendrin Karl-Liebknecht-Straße, SPD Politiker.
Salomonstraße – Salmannsdorf, einstige Siedlung südlich der Stadtmauern. Zwischendrin Saarlandstraße, keine Angaben.

Straßenbezeichnung nach Görlitzer Persönlichkeiten

Schwierig in einer 950 Jahre alten Stadt. Wem wird man gerecht? Wen lässt man außen vor? So ist zum Beispiel der letzte Bürgermeister Alfred Fehler (1945), nach dem eine Straße in Görlitz benannt wurde.

Dr.-Kahlbaum-Allee – Kam 1866 an die Nervenheilanstalt in Görlitz an der Kahlbaum-Allee, starb in Görlitz. Zuvor hieß die Straße „Promenade“, beliebte Spazierstrecke der Görlitzer.
Emmerichstraße – Bürgermeister von Görlitz 1483, 1488, 1494, 1498, 1502. Ungekrönter „König von Görlitz“.
Hartmannstraße – Daniel Gottlieb Hartmann, Bürgermeister von Görlitz 1779–1797.
Heynestraße – Johannes Heyne, 1893 – 1894 vertretungsweise Oberbürgermeister von Görlitz. Eigentlich Stadtrat und Bürgermeister. Verdiente sich bei der Umsetzung der Ruhmeshalle.
Johannes-Wüsten-Straße – (1896–1943), Maler, Grafiker und Schriftsteller, Görlitzer. Zuvor „Kahle“ (Fläche mit Gärten und ohne Bebauung).
Luisenstraße – Luise Schuster, Ehefrau des Eisenhändlers Theodor Johann Schuster, der sein Geschäftshaus am Demianiplatz hatte (1868 abgebrochen). Zwischendrin Otto-Buchwitz Straße, Politiker (SPD, KPD, SED).

Luisenstraße hin zum Theater und Reichenbacher Turm.

Otto-Müller-Straße – Otto Müller (1829–1908), Geheimer Kommerzienrat, Stifter der Stadtbibliothek mit Lesehalle und des heutigen Park des Friedens (einst Otto-Müller-Park).
Schützenstraße – Schießhaus der Vogelschützen, einst Mühlweg 1a. Ältester Verein der Stadt seit 1377. Zwischendrin Alexander-Puschkin Straße, russischer Dichter.
Schützenweg – Im weiteren Verlauf bis zur Neiße Bezug zum alten Schützenhaus an der Fussgängerbruecke Lindenweg.

Schützenweg durch den Stadtpark zum ehemaligen Alten Schützenhaus.

Seufzerallee – keine Angaben

Seuftzerallee

Sohrstraße – Samuel August Sohr, Bürgermeister von Görlitz 1801–1833
Straßburgpassage – Otto Straßburg (1862–1941), Kaufmann, Gründer des Kaufhauses Straßburg (seit 1908: Straßburgpassage). Zwischendrin HO-Passage, Einzelhandelsunternehmen der DDR.

Straßburgpassage Görlitz

Struvestraße – Alexander Struve (1806 – 1879), Görlitzer Apotheker und Stadtrat

Straßenbezeichnung nach Nicht-Görlitzer Personen

Hierbei erleben wir Ehrerbietung für Königshäuser, Wissenschaftler, Politiker, Künstler, Heilige. Straßen so zu benennen unterliegt einem starken Zeitgeist, der gerne mal wechselt. So gesehen, wäre auch eine Justin Biber Straße denkbar.

Augustastraße – gemeint ist Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, Gattin von Wilhelms I., Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen (Wilhelmsplatz!). Augusta lebte 1811–1890. Zwischendrin Dr.-Külz-Straße, ein DDR-Politiker.

Wilhelmsplatz mit Augustastraße.

Bismarckstraße – bezugnehmend auf Otto von Bismarck (1815–1898), Ministerpräsident von Preußen, Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes, erster Reichskanzler des Deutschen Reiches. War mal in Görlitz. Zunächst Kloster-Strasse, eine sehr passende Richtungsangabe. Zwischendrin Breitscheidstraße, SPD Politiker.
Dr.-Friedrichs-Straße – bezugnehmend auf Rudolf Friedrichs (1892–1947) SPDler, Ministerpräsident des Landes Sachsen 1946–1947, geboren in Plauen, gestorben in Dresden. Zuvor Mittelstraße, unverfänglich.
James-von-Moltke-Straße – Helmuth James Graf von Moltke (1907–1945), Jurist und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. War nie in Görlitz. Zuvor Sommer-Strasse, könnte den Görlitzer Bürgermeister (1680, 1684 und 1688) meinen. Zwischendrin Thälmannstraße, KPD Politiker.
Joliot-Curie-Straße – Frédéric Joliot-Curie (1900–1958), französischer Physiker. War nie in Görlitz. Bis 1953 Friedrich-Wilhelm-Straße, Friedrich Wilhelms IV. Königin von Preußen. Passend dazu seine Gattin Elisabeth (Elisabethplatz!). Danach Ferdinand-Lassalle Straße, Schriftsteller und Wortführer der Arbeiterbewegung.
Louis-Braille-Straße – Louis Braille (1809–1852), Erfinder des Punktschriftsystems für Blinde, kein Görlitzer (Franzose). Zuvor Schmidtstraße, keine Angaben.
Marienplatz – Bezugnehmend auf Maria, der Mutter Jesu Christi, seit 1852. Zuvor Taubenmarkt.

Marienplatz. Maria ist links die Figur im Wappen am Turm.

Otto-Buchwitz-Platz – Otto Buchwitz (1879–1964), Politiker (SPD, KPD, SED), kein Görlitzer. Zuvor Mittelplatz und Horst-Wessel-Platz, Sturmführer der SA in der NSDAP.

Otto-Buchwitz-Platz

Schillerstraße – Friedrich Schiller (1759–1805), Schriftsteller. Kein Görlitzer.
Theodor-Körner-Straße – (1791–1813), Schriftsteller. War zumindest mal in Görlitz.
Wilhelmsplatz – Kaiser Wilhelm I. (1797–1888), König von Preußen, deutscher Kaiser. Vorher Neumarkt, zwischendrin Karl-Marx-Platz, Begründer des Marxismus.

Straßennamen nach Richtungsangaben

Immer gut es so zu machen. Man bekommt eine Ahnung, wo die Straße hinführt.

Berliner Straße – Bezugnehmend auf die Stadt Berlin. Im politischen Geschehen der 30er Jahre in Adolf-Hitler-Straße umbenannt und 1945 rückbenannt.
Dresdener Straße – bezugnehmend auf die Stadt Dresden.
Mühlweg – führt(e) Richtung Obermühle.

Mühlweg in Görlitz.

Querstraße – unverfänglich.
Theaterpassage – zum Theater hin (eröffnet 1851).

Theaterpassage hin zum Theater.

Straßennamen nach Pflanzen

Immer gut, es so zu machen. Eine Namensgebung, die locker die Jahrhunderte überdauert.

Blumenstraße – unverfänglich, Bezug zum nahem Stadtpark. Zwischendrin Herbert-Balzer-Straße, ein KPD Funktionär.
Gartenstraße – unverfänglich, Bezug zum nahem Stadtpark. Zwischendrin Ludwig-Ey-Straße, SPD und KPD Politiker aus Niesky.
Lindenweg – Lindenbäume, Bezug zum nahem Stadtpark.

Lindenweg.

Bezug zur Landschaft

Furtstraße – einst befand sich hier eine Furt durch die Neiße, eine seichte Stelle, wo man den Fluss gut queren konnte.

Verweis auf geschichtliche Ereignisse

Platz der Friedlichen Revolution – Gedacht wird dabei den Montagsdemos im Jahr 1989, die auch in Görlitz stattfanden und dazu beigetragen haben sollen, dass die Grenzen der DDR geöffnet wurden und eine Wiedervereinigung mit der BRD stattfand.

*Neu* Frauenkirche am „Platz der Friedlichen Revolution“

Quellen

Liste der Bürgermeister von Görlitz
Liste der Straßennamen von Görlitz
Görlitzer Straßennahmen Band I + II

Eure (ersten) schönen Kommentare

“ Tatsächlich sind die Benennungen von Straßen und Plätzen nach Personen und politischen Ereignissen nicht unproblematisch. Ein schönes Beispiel dafür ist der „Otto-Buchwitz-Platz“ und die Dr.-Friedrichs-Straße. Beide waren früher die Verlängerung der Mittelstraße und hießen genau so: Mittelstraße und Mittelplatz. Während des Dritten Reiches wurde der Mittelplatz in „Horst-Wessel-Platz“ und der südliche Teil der Straße in „Horst-Wessel-Straße“ umbenannt. Die meisten Görlitzer nannten Platz und Straße weiterhin Mittelplatz und Mittelstraße. Nach dem Krieg wurde die Horst-Wessel-Straße zur Dr.-Friedrichs-Straße und der Mittelplatz bekam seinen Namen zurück. Allerdings musste die Luisenstraße, die in den Platz einmündet“ ihren Namen opfern und hörte zu DDR-Zeiten irgendwann auf den Namen „Otto-Buchwitz-Straße“. Nach dem Ende der DDR-Zeit sollte die Luisenstraße ihren Namen zurückbekommen. Dafür wurde nun der Mittelplatz mal wieder umbenannt und bekam den Ex-Namen der Nun-wieder-Luisenstraße und heißt seither also Otto-Buchwitz-Platz. Die meisten Görlitzer sagen allerdings noch immer „Mittelplatz“.
Der Stadtrat sollte diesen Beschluss mit dem nötigen Weitblick fassen und einen Namen wählen, der auch in 200 oder 300 Jahren Bestand haben kann. Da die ganze Fläche, die jetzt umbenannt werden soll, der Friedhof der Kirche ist, die eigentlich „Unserer lieben Frau“ (eine Bezeichnung für die Gottesmutter Maria) heißt, schlage ich vor, den Platz „Liebfrauenkirchplatz“ zu nennen. „

“ Görlitz war bei seinen Namen immer etwas……
Platz der Befreiung mit Gefängnis, Leninplatz mit Verätergasse oder Nonnengasse mit Schwangerenberatung. In der DDR hat soetwas nie jemand hinterfragt. Schön wenn sich jetzt jemand Gedanken macht. „

“ Ganz schlecht finde ich Straßennamen mit Datum, z.B. Straße des 18. Oktober. Dahinter klingt jede Hausnummer wie eine Jahreszahl. Wenn ich nicht wüsste, dass Straße des 18. Oktober 42 die Adresse des Stadtarchivs ist, würde ich mich fragen, was am 18.10.42 passiert ist. „

“ Aber diese komplizierten Bezeichnungen mit Genitiv glaubte ich überwunden: Platz der Befreiung, Straße der Oktoberrevolution, Straße der Bauschaffenden usw. Sowas mag ich eigentlich nicht mehr. Ihr? Dagegen könnte ich mir auf diesem Platz zur Erinnerung an die friedliche Revolution ein kleines Denkmal sehr gut vorstellen. „


Spread the love